Mel Gibson - eine Annäherung
Ja, man kennt ihn. Man kennt dieses gut geschnittene Gesicht, in dem irgendwo immer noch ein pubertierender Lausbube sein Unwesen treibt. Man hat sich weggeduckt, wenn er wieder einmal hinlangte - patsch... in das Gesicht des jeweiligen Gegners. Man hat im schottischen Hochland mit ihm den Urschrei des Volkshelden geprobt. Und ist mit ihm lachend zusammengezuckt, wenn er den Haarschmuck seiner Beine mit einem Ruck entfernte - zum Zwecke höherer Einsicht in weibliche Erlebniswelten.
Aber kennen wir ihn wirklich, diesen Mel Gibson? Wie kommt so einer dazu, uns jetzt einen Jesus-Film zuzumuten? Die Geschichte eines Todes, zu allem Überfluss auch noch in toten Sprachen gespielt. Ein Karriere-Schachzug? Nein, DAS kann es wohl nicht sein.
Also bohren wir ein bisschen - wo besser als im Internet. Und stoßen in einer ersten Schicht auf Gibson den Menschen, der doch immer nur Gibson den Schauspieler inszeniert. Da wird ihm z.B. 1997 der Harvard-Ulk-Preis "Hasty Pudding"-Mann-des-Jahres verliehen und dabei ein rot und blau glitzernder Büstenhalter überreicht. Was macht unser Mann? Na klar, er setzt noch einen drauf, öffnet sein Hemd und zeigt, was "Mann" darunter trägt: einen BH mit Leopardenfell-Muster nämlich! Gut gebrüllt, Wildkatze!
Ein andermal schleimt ihn ein Interviewer an: "Sie machen so vieles, Sie sind Schauspieler, Regisseur, Produzent, Vater, Ehemann. Gibt es ein Wahrheits-Axiom, das Sie benutzen?" Schnoddernd kommt es zurück: "Leben Sie einfach im jetzt... alles weitere wird sich schon selbst regeln. Weil... an der Vergangenheit kann man nicht viel ändern, und an der Zukunft kann man auch nicht tierisch viel was ändern weil... meistenteils liegt alles außerhalb unserer Kontrolle, so dass alles, was man wirklich beherrscht, lediglich die gegenwärtige Situation ist, und dies ist echt die einzige Möglichkeit, ein bescheidenes Maß an Glück in diesem Leben zu bewahren, nämlich sich nicht um die Zukunft zu sorgen, oder die Vergangenheit zu sehr zu bedauern. Und das ist schwer durchzuhalten, denn es geht gegen die menschliche Natur.“ Ja, aber hallo...wenn das nicht auf jeder Jet-Set-Austern-Schlürf-Party als philosophischer Durchbruch bejubelt wird! Hören Sie im Hintergrund eine bekiffte Karibik-Band 'Don't worry - be happy' säuseln? Ich auch. Aber was wissen wir hinterher mehr über Mel Gibson den Menschen? ... Eben!
Bohren wir also weiter. Katholisch aufgewachsen ist er. In Australien lebt er. Im "outback", heißt es. Auf Deutsch: in den Kaparten. Da, wo sich Känguruh und Koala gute Nacht sagen. Verheiratet ist er. Ach wirklich? Hatten Sie bei der Oscar-Verleihung Mrs. Gibson gesehen? Nicht? Wie heißt sie eigentlich? Nach langem Suchen rückt Google einen Namen raus: Robyn Moore. Aha. Jetzt wieder die Suchmaschine befragt, und... Volltreffer: Robyn Moore... eine sehr erfolgreiche australische Synchronsprecherin, außerdem Redner in Sachen Motivation. Das passt doch! Das muss sie sein!
Ist sie's? Denkste. Diese Dame ist nicht verheiratet, und damit auch nicht Mutter der 7(!) kleinen Gibsons. Und als ich wenig später irgendwo lese, Gibsons Robyn Moore sei von Beruf "dental nurse", also Zahnarzt-Gehilfin, wird mir klar: Hier mauert jemand! Hier versucht jemand, seine Familie, sein Privatleben, sich selbst als Mensch, konsequent abzuschotten. Wer Mel Gibson wirklich ist, das geht nur ihn, seine Familie und die engsten Vertrauten etwas an. Für die anderen gibt Mel Gibson "Mel Gibson" - und das täglich. Also, nehmen wir die obigen Gibson'schen Ergüsse über die menschliche Existenz als solcher nicht zu ernst!
So scheint es bereits bei Ankündigung als Sensation, dass Mel Gibson sich am 16. Februar 2004 in einem einstündigen Live-Special ABC News stellen will, um sich zu seinem Film "The Passion of the Christ" befragen zu lassen. Diane Sawyer, in jedem amerikanischen Haushalt bekannt, moderiert an. Mel Gibson scheint angespannt. Der coole Medien-Profi... nervös. Aber er antwortet - mit einem Paukenschlag: "Doch er war durchbohrt um unserer Vergehen willen, zerschlagen um unserer Sünden willen. Die Strafe lag auf ihm zu unserm Frieden, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden." Ein Zitat des Propheten Jesaja, das sich nach allgemeiner christlicher Überzeugung direkt auf Jesus bezieht. Für Nicht-Christen vielleicht nicht mehr als einer der vielen schwer verständlichen, frommen Sprüche. "Dies ist der Kernpunkt des Films," fährt Gibson fort, "es geht nicht darum, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen... das Spielchen der Schuldzuweisung zu spielen. Es geht um Glauben, Hoffnung, Liebe und Vergebung. Für mich ist das Realität. Ich glaube das. Ich muss das glauben." Ist das noch der Schauspieler, oder schon der Mensch Gibson? "Muss?" fragt Sawyer. "Muss!" bestätigt Gibson. "Wofür?" "Für mich selbst. Damit ich hoffen kann. Damit ich leben kann." Der ewige Haudegen, der Austeiler, Mel-Dampf-in-allen-Gassen - jetzt schwach? Wie das?
Während noch Glitzerbilder des Stars über den Bildschirm flimmern, kommentiert die Ansagerstimme: "Er (Gibson) sagt, der Mann auf all diesen Magazin-Titelseiten sei vor 13 Jahren in Wirklichkeit dabei gewesen zu ertrinken." Zögernd kommt es jetzt aus Gibson heraus: "Ich war irgendwie... ich wollte einfach nicht weitermachen. (...) Also das ist so... ich bin geschlagen mit... wissen Sie... jeder hat eben was... ich bin... damals entwickelte ich ganz schnell eine Sucht... Sucht nach - irgendwas. Alles eben, OK?!" "War es Alkohol?" fragt Sawyer kühl weiter. "Ja...ja - meistenteils. Ja, Alkohol. Ich seh doch irgendwie wie ein Saufkopp aus, oder? Nicht?!" Das gewohnte Gibson'sche Spaß-Make-up trägt jetzt schnell auf. "Drogen?" bohrt Sawyer weiter. "Drogen, Fusel, alles. Such dir was aus. Kaffee, Zigaretten, alles - klar?! Ich bin eben einer dieser Typen, der so gepolt ist. Das ist meine Schwäche."
So geht das Gespräch noch eine Weile über diese und jene Missetat, bis dann doch der alte Hitzkopf für einen Moment wieder hervorkommt und Gibson unwillig lospoltert: "Ja ja - erzähl mir noch einen. Wahre Geständnisse im nationalen Fernsehen, das wär was. Okay. Hmmm - mal sehen... oh ja - hier gibt's noch eine tolle Geschichte. Nein, Schluss! Ich - will das nicht machen. Das ist furchtbar. In Wirklichkeit bin ich ein brauchbarer Kerl. Ich meine, der eigentliche Orden geht an meine Frau. Die ist nämlich eine wunderbare Frau, wissen sie."
Aber - geduldige Frau hin, Selbstmordgedanken her - was war der Punkt, an dem er die endgültige Wende machte? Sawyer: "Hat Ihnen jemand etwas gesagt? Oder haben Sie sich selbst etwas gesagt?" Gibson: "An dem Punkt sagte ich es mir selbst. Aber das war, nachdem andere mir jahrelang gesagt hatten - hey, hör mal zu, Freundchen, du hast da ein Problem. Ich glaube, ich bin einfach auf die Knie. Ich sagte einfach 'Hilfe!' Und dann, wissen Sie, habe ich angefangen, darüber zu meditieren. Und das steht so in den Evangelien. Die habe ich alle noch mal gelesen. Ich hatte hier und da schon Stückchen gelesen, als ich jünger war. Schmerz ist der Wegbereiter von Änderung, und das ist hervorragend. Das ist die gute Nachricht."
Sind wir am Ende nun doch noch zum Kern des Homo Gibsoniensis vorgestoßen? Durch alle Tarn-Schichten hindurch? "Schaut immer auf die Frucht!" gibt uns derjenige den Rat, dessen dramatische 12 letzten Stunden auf diesem Planeten Thema des Filmes sind. Salopper gesagt: "Lasst euch nicht einlullen, sondern achtet einfach darauf: Was kommt am Ende heraus?" Bei Gibson ist ein Film herausgekommen, für den er ohne mit der Wimper zu zucken 30 Millionen Dollar aus eigener Tasche hinlegte, zu einem Zeitpunkt, als alle Welt dieses Projekt noch zum Un-Film des Jahrhunderts erklärte. Mir sagt das zumindest eins: Dieser Mann meint es ernst. Und deswegen werde ich diesen Mann ernst nehmen. Unbeschadet meiner eigenen Meinung über den Film selbst - versteht sich.
Ulrich Buschmann
(unter Verwendung allgemein zugänglicher Materialien im Internet sowie des Original-Transkripts des Interviews von ABC News)